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So was wie Tagebuch

Da hatte ich die nächsten vier oder fünf Blogeinträge schon fix und fertig vorbereitet (waren sie doch wie von selbst aus meiner digitalen Feder geflossen), und dann ist plötzlich so viel anderes in mir, das nach außen drängt. Also hebe ich mir die fertigen Blogeinträge für einen späteren Zeitpunkt auf und schreibe stattdessen diesen hier.


Heute vor einem Jahr hatten wir eine sehr bewegende Woche hinter uns. Wir standen vor der schwersten Entscheidung unseres Lebens und hatten diese bereits nach wenigen Tagen getroffen - für David.


08.11.2017

Gestern war der Dienstag nach den Herbstferien. Vor einem Jahr hat die Ärztin beim Ultraschall festgestellt, dass mit unserem Kind etwas überhaupt nicht stimmt. Wir wollten es nicht wahrhaben, klammerten uns an jeden Strohhalm und redeten uns ein, die Ärztin habe etwas fehlinterpretiert.


Als wir gestern Abend zu Bett gingen sagte ich "Letztes Jahr haben wir die ganze Nacht wach gelegen und geweint." "Ich weiß." antwortete mein Mann nur und wir wünschten uns eine gute Nacht und versuchten zu schlafen. Heute Morgen schrieb er mir eine Nachricht. Er war nachts mehrmals auf. Mal aus Hunger, mal aus Durst, mal musste er zur Toilette. Ich antwortete "Bei mir genau dasselbe." Geschlafen hab ich auch in dieser Nacht, ein Jahr später, nur wenig. Und als unsere Kleine heute im Kindergarten und das Haus leer ist, denke ich nochmal zurück an den Ultraschall in der 22. Schwangerschaftswoche. Bei dieser Untersuchung hätte Davids Anderssein schon auffallen müssen. Aber unsere Kleine hat die Praxis damals auf den Kopf gestellt. Ununterbrochen hat sie den Knopf gedrückt, der durch lautes Pfeifen, die Arzthelferin in das Ultraschallzimmer ruft. Unser kleiner Wirbelwind war kaum zu bändigen. Dadurch hat sie uns noch acht sorglose Wochen verschafft. Als nächstes denke ich daran, wie sie David immer wieder im Arm halten wollte, als er schon gestorben war, und wie sie ihn angesehen hat. Ganz andächtig. Und da frage ich mich, ob unser Himmelssohn und unsere Erdentochter schon damals, als er noch in meinem Bauch war, diese besondere Verbindung zueinander hatten. Vielleicht hat sie schon geahnt, gespürt oder sogar gewusst, dass David anders ist. Haben die beiden vielleicht sogar auf eine ganz besondere Weise miteinander kommuniziert, wie es nur Kinder können, die noch nicht lange auf der Erde sind? Haben sie gar gemeinsam den Plan ausgeheckt, Davids Schwester solle die Ärztin so sehr ablenken, dass Davids Anderssein noch unentdeckt bliebe? Ich weiß es nicht. Aber der Gedanke ist schön. Denn dann hätten die beiden Geschwister viel mehr Zeit miteinander gehabt, als nur die wenigen Tage, die Davids Körper bei uns war. 


Tja. Und auf diese schlaflose Nacht, folgte heute vor einem Jahr der Termin beim Pränataldiagnostiker, wo sich der Verdacht der Frauenärztin mehr als nur bestätigte.


[11.11.2017

Am Schlimmsten empfand ich vor einem Jahr die Zeit zwischen der Diagnose und der Entscheidung für David. Mein Mann und ich waren uns damals zum Glück einig und konnten unseren Entschluss bereits nach knapp zwei Tagen fassen. Und jetzt ging es mir in genau diesen zwei Tagen auch nicht so gut. Im Nachhinein fällt mir auf, dass es mir wieder besser geht, als sich der Zeitpunkt unserer Entscheidung jährt.]


08.11.2017

Als ich heute meine E-Mails abrufe, sehe ich die vielen Kommentare unter meinem gestrigen Blogeintrag und die sind so schön und so lieb, dass mir die Tränen kommen. Danke Tanja, Sylvia, Antje und Lisa. :-* Gerade will ich es mir in diesem wohlig-traurigen Gefühl gemütlich machen, da klingelt ein Paketdienst. Hat David ihn just in diesem Moment zu mir geschickt? Könnte gut sein...


Davids Mama

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Kommentare: 2
  • #1

    Birgit (Samstag, 18 November 2017 10:46)

    Hallo David's Mama, ich finde es so traurig schön das ihr den Mut habt eure Trauer zu leben. Weiterhin viel Kraft dafür �lg von Birgit

  • #2

    Mamaubd (Samstag, 18 November 2017 12:08)

    Ihr Lieben,
    Ich bin ganz bei euch, als stünde ich daneben wenn ich deine lebensbriefe lese. Ich fühle mit und weine und bin traurig und doch glücklich, David kennengelernt zu haben. Ein großes Glück. In seinem Leben hat er alles gehabt was sich jeder Mensch wünscht- reine Liebe.
    Ich bin bei euch und stolz auf euch, wie ehrlich und offen und voller Liebe ihr zusammen lebt und alles Schwere,alle Schmerzen zusammen tragt und bewältigt.
    In Liebe. Deine Mama