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Wenn alles schief läuft

Allerheiligen steht vor der Tür. Da sollten wir Davids Grab, dem Protokoll gemäß, schön herrichten. Und es ist auch wirklich wieder an der Zeit. Die Sommerblumen die noch darauf wachsen, haben ihre besten Tage bereits hinter sich. Grashalme sprießen dazwischen hervor... Also gehen wir es an.


Am Samstag vor Allerheiligen fahren wir mit unserer Kleinen zum Gärtner. Dort ist nicht viel los. Die meisten haben wohl ihre Pflanzen bereits ausgesucht und sind wahrscheinlich gerade in diesem Augenblick damit beschäftigt diese auf dem Friedhof einzupflanzen.


Gut beraten entscheiden wir uns schließlich für fünf Minierika, eine kleine Konifere, einen Silberdraht und eine Christrose. Der Buchs ist noch schön und darf bleiben. Unsere Kleine sucht noch ein hellblaues Veilchen für David und ein Windrad für sich selbst aus. Einen kleinen Sack Graberde nehmen wir auch noch mit. 


Zuhause stellen wir alles in die Werkstatt wo es darauf wartet eingepflanzt zu werden. Am Sonntag nach dem Frühstück soll es soweit sein. Sturmtief Herbert zieht an diesem Tag über uns hinweg. Aber auch Herbert kann uns nicht von unserem Vorhaben abhalten. Schließlich haben wir es uns für heute vorgenommen. Die Kleine will nicht mit zum Friedhof. Sie will lieber zuhause bleiben und spielen. Ich frage meinen Mann vorsichtig, ob er Davids Grab alleine herrichten will. Sicher will er mich dabei haben. Seine Antwort bestätigt mir diese Vermutung: "Oder ihr kommt mit und geht dort spazieren." Super Idee. Wir fahren drei Kilometer mit dem Auto zum Friedhof damit die Kleine, die eh nicht will, und ich dort im Sturmtief spazieren gehen können. Aber zum Insistieren fehlt mir die Kraft. Es ist einfach so, dass wir unseren Alltag mit Ach und Krach auf die Reihe bringen. Das kleinste Bisschen, das noch oben drauf kommt, kann dann schon zu viel sein. So auch heute. Ich suche die Outdoor-Sturm-Ausstattung für unsere Kleine zusammen. Sie will nicht. Das hatte sie schon gesagt. In meinem verzweifelten Versuch allen gerecht zu werden, ziehe ich ihr die Matschhose an, während sie lachend über das Sofa robbt. Sie findet es lustig und macht ein Spiel daraus. Ich finde es einfach nur anstrengend und frage mich, warum aus dem Anziehen ein Kampf geworden ist und ob das wirklich sein muss. Mein Mann bekommt unser Anziehchaos mit und kommt dazu. Er nimmt die Kleine in den Arm. Ich sitze daneben und weine ein paar Tränen. Tränen der Verzweiflung: Warum wurde das Anziehen zum Kampf? Tränen der Wut auf mich selbst: Warum kann ich meinen Mann nicht alleine los schicken? Tränen des Selbstmitleids: Warum kann nicht einfach mal etwas nach meinem Kopf gehen?


Schließlich sind alle angezogen und das Auto beladen. Wir steigen ein und fahren los. Mein Mann fragt mich was vorhin los war und endlich bringe ich es heraus: "Ich hatte dich doch gebeten alleine zu fahren. Es kann doch nicht sein, dass mein lebendes Kind darunter leiden muss, dass ich für mein verstorbenes Kind, das Grab herrichten will. Nicht um diesen Preis." Das sieht er genauso. "Ich muss nicht unbedingt dabei sein und auch nicht im Sturm mit unserer Kleinen spazieren gehen. Ich habe Vertrauen. Du bist Davids Papa. Dir ist auch wichtig, dass sein Grab schön aussieht und nicht wie hingerotzt. Und ich weiß, dass du es schön machen wirst."  Da fragt er mich warum ich ihm das nicht schon vor zwanzig Minuten gesagt habe. Ja. Warum habe ich es nicht schon früher gesagt? Warum konnte ich es da nicht? Musste die Sache unbedingt erst aus dem Ruder laufen? Tatsache ist: Mir fehlte schlicht und einfach die Kraft dazu. So sieht es aus. Ich war zu schwach. Zu schwach zu meiner Kleinen zu stehen. Und das ist einfach Scheiße! Und so fühlt es sich auch an. 


Letztendlich will unsere Kleine nicht aussteigen. Ich bleibe also mit ihr im Auto sitzen. Sie sieht sich Videos auf dem Tablet an und ich beginne diesen Blogeintrag zu schreiben. Mein Mann, das Goldstück, steigt aus und beginnt mit der Grabpflege. 


Irgendwann will sie dann doch noch zu Davids Grab. Wir fahren mit dem Dreirad über den Friedhof zu Davids Grab, das mein Mann bereits wunderschön bepflanzt hat. Nur die Dekosachen fehlen noch. Ich darf kurz entscheiden was ich nicht mehr unbedingt darauf haben will, bevor ich der Kleinen hinterher laufe, die mal wieder sämtliche Weihwasserkesselchen überprüft und ausprobiert. Ein wichtiger Job, den sie bei jedem Friedhofsbesuch sehr gewissenhaft ausführt. Dann darf sie noch die Kerze anzünden, die sie für David verziert hat und wir brechen wieder auf. 


Trotz aller Aufregung und allen negativen Gefühlen, die aufkamen, hat mein Schatz Davids Grab wieder wunderschön hergerichtet. Wir haben uns zuhause nochmal darüber unterhalten und festgestellt, dass wir wieder mal ein Kommunikationsproblem hatten. Jeder glaubte zu wissen was der andere will. Darin sind wir beide recht gut. Nächstes mal wollen wir beide versuchen offener zu sein um eine solche Situation, wie wir sie heute herbeigeführt haben, zu vermeiden. 


Und ich bin mir sehr sicher, dass David seine alten Blumen lieber ein paar Tage länger behält, wenn seine Schwester ansonsten in ihre Matschhose gepresst werden muss. Er würde ganz bestimmt nicht wollen, dass wir so ein Theater veranstalten, wegen ein paar Pflanzen auf seinem Stückchen Erde.


Davids Mama

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Kommentare: 2
  • #1

    Ramona Natterer (Dienstag, 31 Oktober 2017 15:32)

    Liebe Grüsse aus deiner Heimat. Habe gerade deinen Blog entdeckt. Werde jetzt öfters mal vorbeischauen.
    Mir geht es auch oft so, dass ich meine eigentlichen Wünsche und Bedürfnisse nicht deutlich formuliert. Dann endet es gerne im Konflikt.
    Ich bewundere dich, wie offen und gut du mit der schwierigen Situation umgehst.
    Wünsche Euch für morgen viel Kraft.

  • #2

    Davids Mama (Mittwoch, 01 November 2017 12:43)

    Hallo liebe Ramona,
    vielen Dank für deine lieben und ehrlichen Worte. Irgendwie haben doch die meisten Familien ganz ähnliche Kommunikationsschwierigkeiten. ;-) Ich lese deinen Blog auch sehr gerne. Bei dir/euch sieht immer alles so leicht aus. Echt toll, wie du das alles wuppst.
    Viele liebe Grüße!